Tagesschau.de 22.12.2011
Tagesschau.de vom 22.12.2011
Forschung über Vogelgrippe-Virus
Zensur aus Angst vor Bioterrorismus?
Virologen aus den Niederlanden und den USA ist es gelungen, eine Variante des Vogelgrippe-Virus' zu züchten, die von Säugetieren übertragen werden kann. Sollte diese Züchtung in der Natur vorkommen, könnte sie Experten zufolge eine tödliche Pandemie auslösen. Das Virus führt in 60 Prozent der Fälle zum Tod. Bislang starben lediglich 350 Menschen an der Krankheit, da es derzeit noch nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird.
 
Was ist, wenn die Informationen in falsche Hände geraten?
Eigentlich sollten die Forschungsergebnisse nun in renommierten Wissenschaftsmagazinen wie "Science" und "Nature" veröffentlicht werden - als Information für die Wissenschaft, um daraus eventuell neue Behandlungsmethoden entwickelt zu könenn. Doch die US-Behörde für Biosicherheit (NSABB), die die Regierung in Washington berät, sieht die bevorstehende Veröffentlichung mit Sorge. Sie befürchtet, dass Terroristen mit den Informationen hochgefährliche Biowaffen herstellen könnten. "Ich kenne keinen anderen krankheitserregenden Organismus, der so beängstigend ist wie dieser", sagte NSABB-Chef, Paul Keim.
 
Und die Behörde macht Druck: Sie forderte die Wissenschaftler auf, ihre Forschung zum Vogelgrippevirus H5N1 nicht vollständig zu veröffentlichen.
 
Zensur aus Angst vor Bioterroismus? Sicher ist, dass so etwas noch nie vorgekommen ist. Der Schritt der US-Behörde ist beispiellos. Und die Freiheit der Wissenschaft ist ein kostbares Gut.

Es geht um die Freiheit der Wissenschaft

Die Forscher, Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka von der University von Wisconsin in Madison, äußerten sich daher auch zurückhaltend. Das Erasmus Medical Center erklärte, das Team sei bereit, der Bitte der US-Regierung zu entsprechen. Zugleich wies die Einrichtung auf die Freiheit der Wissenschaft hin. "So etwas ist noch nie vorgekommen", kommentierte sie die Anfrage. Die University von Wisconsin äußerte sich ähnlich. Sie verwies auf die Bedeutung, die die Forschungsergebnisse für die öffentliche Gesundheit, für den Kampf gegen die Ausbreitung der Vogelgrippe hätten.

"Science"-Chefredakteur Bruce Alberts bestätigte, dass das Magazin gebeten worden sei, nur einen Teil der Forschungsarbeit zu veröffentlichen. Man habe große Bedenken, die Informationen der Öffentlichkeit vorzuenthalten, erklärte er. Zugleich betonte er, man nehme die Befürchtungen sehr ernst, dass die Daten in die falschen Hände geraten könnten.
 
"Nature"-Chefredakteur Philip Campbell erklärte ebenfalls, dass die kompletten Ergebnisse der Forschungswelt zugänglich gemacht werden müssten. Es werde derzeit diskutiert, wie dies ermöglicht werden könne.
 
Von Frettchen zu Frettchen
Die Wissenschaftsmagazine sehen die US-Regierung in der Pflicht: Sie müsse ein System schaffen, mit dessen Hilfe zumindest den Fachleuten die kompletten Forschungsergebnisse zur Verfügung gestellt werden könnten, insbesondere denen in den von der Vogelgrippe besonders stark betroffenen Gebieten wie China oder Indonesien.
 
Weltweit sind insbesondere Vögel mit dem tödlichen Erreger H5N1 infiziert. Bislang waren Menschen nur in Einzelfällen betroffen, man spricht von etwa 600 Fällen, die zu 60 Prozent tödlich endeten. Das liegt daran, dass sich der Erreger kaum auf Menschen überträgt. Den Forschern um Fouchier und Kawaoka gelang die Züchtung einer Variante, die sich ganz leicht von Frettchen zu Frettchen übertrug.

 

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